Freitag, 27. Mai 2016

1797 Journal des Luxus und der Moden, Decoupierter Strohhut geziert mit Puffen und Bandschleifen von blauem Taft

Die Temperaturen klettern allmählich und nicht anders als im Jahre 1797 beginnt man zeitig im Mai mit dem Gedankenspiel um sommerliche Hutmode.
Einen kühlen Kopf bewahrt man stets mit Strohhüten und deshalb wähnte ich es an der Zeit einem etwas ausgedienten Strohhut (einem Überbleibsel aus den 1980er Jahren) einen neuen Stil zu suchen.
Der Hut war nicht aus einem vernähten Band gefertigt, sondern ein geflochtener Hut und hier und da hatten sich am Rand und der Krempe bereits kleine Brüche eingeschlichen.
Das Wort "decoupieret" kam in einem Modebericht vom Mai 1797 daher gerade recht. Leider war die Krempe nicht so üppig, dass ich ihn gänzlich dem Original anpassen konnte, aber der Zuschnitt sollte dem bis dahin verschmähten Hütlein eine neue Saison bescheren.
The temperatures are gradually rising and, not much different from the year 1797, thoughts on summer fashion should start early in May.
The best head wear on a sunny day might be a straw hat and that's why I've chosen a new style for a formerly disused hat (a relict of the 1980s).
The hat wasn't made of a sewn straw band, but it was entirely braided. Here and there on the edges and brim signs of wear and tear were obvious, because the straw was broken.
The word "decoupiert" (=cropped) in a fashion report from May 1797 came in handy. Unfortunately the brim on my hat wasn't that large, hence I wasn't able to do an exact copy, but the new cut should help the neglected hat to be fashionable again.

Mai 1797, Journal des Luxus und der Moden, Modenbericht, Tafel 15 (Quelle/source: thulb Uni Jena)
Zu dem Kupfer gibt es selbstverständlich auch einen kurzen Begleittext.
There's certainly a short description to the fashion plate.

Mai 1797, Journal des Luxus und der Moden, Modenbericht (Quelle/source: thulb Uni Jena)
 Transkription:
Die vierte Dame (Tafel 15 Figur 2) trägt einen decoupierten gelben Strohhut mit blauem Taft gefüttert und eingefasst, und so geschnitten, daß zu beiden Seiten lange Zwickel oder Spitzen bleiben, welche dann mit Bande, das sie einfasset, unter dem Kinne zugebunden werden. Der Kopf des Hutes ist mit Puffen von blauem Taft und dergleichen Bandschleifen geziert. Unter diesen Morgenhüthen werden kleine Linon-Hauben getragen.
Translation:
The fourth lady (plate 15 figure 2) wears a cropped/cut straw hat, lined with blue taffeta and cut in a way that on both sides you'll have gussets, which are bound with bias tape and closed under the chin. The crown is adorned with blue taffeta puffs and ribbon ties of the same colour. This morning headwear is worn with linen caps.

 Ob die Hüte sich aus Bergères entwickelt haben oder sie hier und da sogar aus ausgedienten Bergères gearbeitet wurden, scheint wahrscheinlich, aber es fehlt ein Hinweis diesbezüglich im Text. Beim Zuschnitt meines Hutes kam es mir jedenfalls öfter in den Sinn, das möglicherweise einige Damen zur Schere gegriffen haben mochten, um aus einem alten Hut ein modisches Accessoire zu zaubern.
Whether the hats have developed from the bergères or some disused have been transformed, it seems plausible, yet the text gives no clues. While I've cut my hat into the new shape I thought several times, that this might be exactly the thing, that was also done more than two hundereds years ago.


Bei meinem Strohhut mußte ich im Nacken mehr Material wegschneiden, als vorn an der Krempe, was allerdings den üppigen Lockenfrisuren des Jahres 1797 zugute kommt.
Für den Hut benötigte ich ein Stück blauen Seidentaft, hierbei handelt es sich um alte Lagerware, die erfreulicherweise einen überaus passenden "altmodischen" Farbton hat, und ein hauchzartes Seidenband, ebenfalls aus altem Bestand.
Due to the damage in the straw and the smaller shape, I cropped the back more than the front brim, which in the end looked right for the super curly hair cuts of the year 1797.
I purchased some old stock silk taffeta in a most beautiful "old fashioned" colour and a blue delicate silk ribbon, also from old stock.

Entgegen des kritischen Blickes der Marotte, steht ihr der Hut wirklich ausgezeichnet.
Contrary to the rather critical face of the marotte, the hat suits her quite well.

 Hier wirkt die Bandschleife besonders vorteilshaft. Die Puffen wurden einfach aus Streifen zusammengenäht (die Seide liegt nur 70 Zentimter breit) und dann an beiden Enden gezäckt, ehe sie aufgereiht und vernäht wurde. Vor dem Reihen habe ich noch das zierliche Seidenband aufgelegt.
The back view shows the beauty of the ribbon ties. The "puffs" are strips cut from the fabric (the silk was only 70 centimetres wide), then pinked on both edges, before the strips are basted with running stitches and then sewn together around the crown. Before basting I added the delicate silk ribbon.


Wie beim Original wurde der Hut gefüttert, was seiner leicht fragilen Beschaffenheit zugute kommt.
Like in the original the hat is completely lined, which aids the fragile nature of the braided straw.

Ein tolles Zusammenspiel der Formen und Farben.
A lovely interaction of shapes and colours.

Der Sommer kann kommen!
Ready for summer!

Montag, 9. Mai 2016

"Erdbeeren schick ich Ihnen aus meinem Garten..."

Besagte Erdbeeren aus der Überschrift verließen am 02. Juli 1778 Goethes ummauerten Garten hinter seinem Haus am Weimarer Frauenplan mit einer kurzen Nachricht, um Charlotte von Stein mit fruchtiger Süße zu erfreuen.
Etwa ein Vierteljahrhundert später in Paris im Hitzemonat des Sommers 1802 (der nach dem Französischem Revolutionskalender den klingenden Namen Thermidor trug), hatten die Erdbeeren nichts von ihrer Gunst eingebüßt, im Gegenteil, die kleine rote Beere fand sich sogar in einem Modekupfer wieder: gefroren im Glas! Denn nicht nur die Erdbeere hatte die Gaumen der Damen und Herren erobert, sondern auch Gefrorenes.
"I send you strawberries from my garden..."
Said strawberries from today's headline left Goethes walled garden behind his house at the Weimarian Frauenplan on 2nd July 1778 with a short note, to delight Charlotte von Stein with their fruity sweetness.
About a quarter of a century later in Paris during the heat month of the summer of 1802 (which was called Thermidor after the French Revolutionary Calendar), the triumphal procession of the strawberries has been still carried on, the tiny red berry even entered a fashion journal: frozen in a glas! Not only the strawberry has tickled ladies' and gentlemen's fancy, but also frozen desserts.

1802, Journal des Dames et des Modes, Costume Parisien (404) (Quelle/source: bnf Gallica)
Was hält die Dame mit den rosigen Wangen denn in der Hand? Ein früher Coffee-to-go? Mitnichten! Im Thermidor verlangte man nach Abkühlung!
What is it that the lady with the rosy cheeks is holding in her hands? An early version of a coffee to go? Not at all! During Thermidor people were craving for chilling!

1802, Journal des Dames et des Modes, Costume Parisien (404) (Quelle/source: bnf Gallica)
Ein Erdbeersorbet, auch Erdbeer Scherbett genannt. 
Selbstverständlich ist es eine Mutmaßung, denn der dazugehörige Text im Journal des Dames et des Modes gibt uns keinerlei Anhaltspunkt und ich verlasse mich einfach auf den Umstand der Hitze des Julis und einer doppelten kulinarischen Mode, die im ausgehenden 18.Jahrhundert immer mehr an Beliebtheit gewonnen hat.
A strawberry sorbet.
Well, I have to admit that it is merely a guess, because the Journal de Dames et des Modes does not reveal anything about the glas, but I simply rely on the circumstances, the heat of July and the ever gaining popularity of strawberries and frozen desserts since the late 18th century.

1804, Der Deutsche Obstgärtner, Weimar, Industrie Comptoire (Quelle/source: googlebooks)
Im frühen 18.Jahrhundert waren in Deutschland lediglich die kleinen aber köstlichen Walderdbeeren (auch Monatserdbeeren) verbreitet, erst mit der Einführung der amerikanischen Scharlacherdbeere (fragaria virginiana) und der Fragaria Chiloensis oder chilenischen Erbeere und deren späterer Kreuzung (Fragaria Ananassa, auch als Gartenerdbeere bekannt), erzielte man größere Beeren und rasch fand die Erdbeere Verbreitung in den Gärten.
I the early 18th century only the small, but sweet Forest Strawberries (also called months strawberries) were known in Germany, once the american strawberries fragaria virginiana and fragaria chiloensis were introduced and fragaira ananassa was bred from these, the berries were bigger and the strawberries conquered the gardens.

1801, Der Teutsche Obstgärtner, Weimar, Industrie Comptoire (Quelle/source: googlebooks)
Sehr schön nachzulesen ist die beginnende Vielfalt (um 1820 gab es bereits 70 Erdbeersorten) im folgenden Text von 1805:
A lovely read about the growing popularity of new breeds (in 1820 there were already 70) gives the following text from 1805:

1805, Naturgeschichte mit Hinsicht auf Brauchbarkeit im gemeinen Leben (Quelle/source: googlebooks)
Transkription:
Beerenfrüchte
1) Die Erdbeeren (Fragaria) davon bei uns die kleinen rothen, in America aber auch die verschiedenen Garten-Erdbeeren wild wachsen. Die gemeine Garten-Erdbeere hat größere Blätter, Blüten und Beeren; die Scharlach Erdbeere, hellrothe, eiförmige, zugespitzte Beeren, von weinsäuerlichem Geschmacke; die Ananas-Erdbeere ein wenig rothe aufrecht stehende Früchte von vortrefflichem Geschmack.
Translation:
Berries
1) Strawberries (Fragaria) here we have the small forest berries, in America different sorts of fragaria virginiana in the wild. The common garden-bred berry has bigger leafs, blossoms and fruits; the fragaria virginiana, light red, egg-shaped, pointy berries of slightly sweet sour taste; the fragaria ananassa a bit red and raised fruits of excellent taste.

Ich muß sicherlich nicht betonen, dass mir mein Gaumen bereits nach dieser anfänglichen Recherche signalisierte, unbedingt fortzufahren, was mich zunächst in den eigenen Garten trieb.
I do not need to emphazise, that my tastebuds already signalled to track further research on this, which led me directly into my garden.

Aber meine Gartenerdbeeren denken noch nicht daran ihre süßen Früchte anzusetzen, das wird sicherlich noch ein paar Tage dauern. Die älteste Sorte in meinem Garten ist Mieze Schindler (1925), die übrigens auch auf die fragaria ananassa zurückgeht.
But my garden strawberries are still a bit sleepy in their beds and it will take a few more days to bring on the blossoms and berries. The oldest breed in my garden is Mieze Schindler (1925), which was bred from fragaria ananassa.

Auch bei den Walderdbeeren im Schatten neben dem Haus herrscht noch Zurückhaltung.
Aber nachdem der Erdbeerappetit erstmal geweckt und die Tempraturen an diesem Wochenende plötzlich eifrig in die Höhe geklettert waren, hoffte ich auf eine kleine Gabe, wie sie Goethe eingangs an Charlotte von Stein geschickt hatte.
In der Zwischenzeit hatte ich auch ein Rezept für ein Sorbet entdeckt. Von Francois Le Goullon, dem Mundkoch aus Weimar. Ob er auch einmal Goethes Erdbeeren verarbeitet hat?
The forest strawberries growing in the shade of our house also act with reserve.
After the appetite for strawberries was sparked and the temperatures suddenly climbed high quickly this weekend, I hoped for a small gift like Goethe gave to Charoltte von Stein in the text at the beginning.
In the meantime I've found a recipe for a sorbet. Written by Francois Le Goullon in Weimar. Has he ever received strawberries from Goethe's garden, too?

1801, Francois Le Goullon, Der elegante Theetisch, 9.Auflage Weimar (Quelle/source: googlebooks)
Transkription:
Drei Maas (1 Maas = 1 Kilo) rechte reife Erdbeeren werden gewaschen und auf ein Sieb geschüttet, damit sie wieder abtrocknen, alsdann durch ein Haarsieb gedrückt und der Saft von zwei Zitronen dazu getan. Man läutert drei viertel Pfund Zucker mit einem Nösel (1 Nösel = 500 ml) Wasser, thue, wenn solcher verkühlt, die Erbeeren hinein, passiert solche durch ein Haarsieb, und gießt, ehe man es friert, einen halb Nösel guten Muscatensekt oder Malagawein dazu.
Translation:
6 pounds of ripe strawberries are washed and put on a sieve to dry, then pressed through a very fine sieve with the juice of two lemons. three quarters of sugar are purified in 500 ml water and once it has cooled down the strawberries are pressed through a sieve again and added, before freezing 250 ml malagawine are added.

Soweit zum Rezept. Beim Lesen der Mengenangaben, dürfte dem ein oder anderen schon schwanen, dass man unter Umständen mit sehr viel Sorbet gesegnet ist.
Verfolgt man nicht die Absicht das Frascati um 1800 wieder zum Leben zu erwecken oder möchte man nicht enden wie der Herr im folgenden Text, tut man gut daran, die Menge zu reduzieren.
That's the recipe. Studying the quantities soon rings a bell, that whole lot of sorbet seems to be in the making.
If it's not your aim to re-open the Frascati around 1800 or have a sad ending like the poor guy in the following text, you better reduce the recipe.

1842, Oettinger, Onkel Zebra. Memoiren eines Epicuräers (Quelle/source: googlebooks)
Transkription:
Ich erinnere mich dabei an den österreichischen Kammerherrn, Grafen von Frankenberg, Bruder des Erzbischofs von Mecheln, der, nach einem Wiener Zeitungsberichte vom 13.Juni 1790, einmal vierzehn Becher Gefrorens gegessen und gleich darauf das Zeitliche gesegnet hatte.
Translation:
I remember an austrian chamberlain, Count of Frankenberg, brother to the arch-bishop of Mechlen, who, according to a news paper from 13th June 1790, had fourteen cups of frozen sorbet and then all of a sudden died.

Für eine ausreichende Menge für 2 bis vier Personen für ein sonniges Wochenende reicht es, wenn man das Originalrezept viertelt:
750 gr Erdbeeren
1/2 Zitrone
90 gr Zucker
125 ml Wasser
60 ml Malagawein (Ja, richtig geschaut, aus Mangel an Malagawein im Haus, habe ich auf einen lieblichen Dessertwein zurückgegriffen!)
For two to four persons and a sunny weekend it's sufficient to quarter the quantities of the original recipe:
750 gr strawberries
1/2 lemon (juice)
90 gr sugar
125 ml water
60 ml Malaga wine (Yes, right! Instead of the Malaga wine I unfortunately had to go for a sweet dessert wine)

Die Zubereitung geht im Handumdrehen. Man setzt Zucker mit dem Wasser auf, lässt es abkochen und wieder abkühlen, während man die Beeren durch ein Sieb drückt (und hier werdet ihr froh sein, wenn ihr nicht drei Kilo genommen habt!)
Nach dem Hinzufügen aller Zutaten, kommt die Masse in den Eisschrank, wo sie stündlich umgerührt werden muß, sie sollte keinerlei Ähnlichkeit mit einem Eisberg bekommen, sondern soft ins Glas gleiten.
Über Eishäuser, Eiskeller und Eisbehälter um 1800 gibt es übrigens ausführliche Literatur, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen, einen wunderbaren Eindruck bekommt man hier: Georgian Ices.
The preparation is done in a flash (almost). Bring the sugar and water to boil and then let it cool down, while you press the berries through a sieve (now you'll be very thankful for having to deal with just a quarter of the original recipe!)
After adding all the ingredients, the sorbet goes into the fridge, where it should be turned and scratched every hour until it's soft (avoid that it becomes hard as an iceberg).
There's much more research on ice houses, sabotiers, ice molds in literature, you find a good summary here: Georgian Ices.

1780/1790 KPM Eisgefäss (Quelle/source: Classiqs - Fine Finds)
In einem solch schönen Gefäss kam das Sorbet oder auch Rahmgeforenes schließlich auf den Tisch.
In such a beautiful porcelain piece the sorbet or ice cream was served at the table.

1780/1790 KPM Eisgefäss (Quelle/source: Classiqs - Fine Finds)
Das Sorbet oder Rahmgefrorene kam in die Schale links, das Eisgefäß selbst und der Deckel wurden mit Eis zur Kühlung gefüllt.
The sorbet or ice cream was put in the bowl to the left, while the cell and the lid are filled with crushed ice for cooling.


Ein solches Eisgefäss besitze ich leider nicht, weshalb wir das Erdbeergefrorene rasch verzehren mußten, aber bei einem sonnigen Maitag (der den Tagen im Thermidor nicht unähnlich war), war das ein Leichtes!
Unfortunately I do not own such a beautiful ice bowl, hence we had to eat the strawberry sorbet quickly, but that wasn't a challenge on such a sunny May day (which truly resembled the days of Thermidor)!

Macht Appetit, oder?
The tastebuds are teased, aren't they?

Der nächste sonnige Tag kommt und bald gibt's auch Erdbeeren aus dem eigenen Garten.
Genießt den Frühling, liebe Leser :)
The next sunny day will come and soon the strawberries in the garden are ripe.
Enjoy the spring, dear readers :)

Dienstag, 3. Mai 2016

1802, Costume Parisien "Witterhorn Hut"

Manche Ideen zu einer Nacharbeitung eines Modekupfers begleiten mich eine lange Zeit und reifen, ehe sie dann tatsächlich umgesetzt werden.
Ein solcher Kupfer ist der Costume Parisien 405 "Chapeau de Paille a font Satin" aus dem Jahre 1802. Obgleich ich schon seit langer Zeit ein vergleichbares Kleid in meiner Garderobe habe, ließ der passende Hut auf sich warten.
Some ideas for a recreation of a certain fashion plate linger for a long time and develope, until I finally realize them.
Such a fashion plate is Costume Parisien 405 "Chapeau de Paille a font Satin" of the year 1802. While I have a similar dress in my wardrobe for quite a while, the matching hat took it's time.
1802, Costume Parisien (405) Chapeau de paille a font Satin. Fichu-Gimpe (Quelle/source: Sceneinthepast)
Bei den frühen Ausgaben des Journal des Dames et des Modes waren fast immer Begleittexte zu den Modekupfern vorhanden, also begab ich mich auf die Suche, aber leider fehlte die Ausgabe sowohl in der Sammlung Bunka Gakuen als auch bei bnf Gallica.
Glücklicherweise waren die Modejournalisten im Jahr 1802 emsig und so fand die neue Mode (und der Kupfer) Erwähnung im Journal des Luxus und der Moden im September 1802.
Der Text der Modennachrichten bezieht sich auf den oben abgebildeten Modekupfer aus Paris, den 21sten Thermidor oder 9.August 1802.
The early issues of the Journal des Dames et des Modes usually come with accompanying texts to the fashion plates, hence I searched for it, but unfortunately it was missing in the collection Bunka Gakuen as well as bnf Gallica.
Luckily the fashion journalists of the year 1802 have been known to be busy as well as smart, so it's no wonder that we find a mention of it in the Journal des Luxus und der Moden in September 1802.
The text of the Modenachrichten is linked to the fashion plate shown above from Paris, 21st Thermidor or 9th August 1802.

1802, September, Journal des Luxus und der Moden, Modennachrichten (Quelle/source: thulb Uni Jena)
Transkription:
Tulle wird noch sehr häufig um Hüthe und zu Garnituren an den Kleidern getragen. Aber die allgemein herrschende Mode sind seit 3 Wochen die schwarzen Bast-und Strohhüte, wovon die elegantesten sich wie ein Witterhorn (Anmerkung: Widderhorn und nicht etwa das Berner Wetterhorn) gefurcht in die Höhe drehen. Sie werden häufig mit Jonquille und Pistaziengrünen Bändern garniert oder auch mit einem rothen Tuche unter dem Kinn aufgebunden. Viele sind hinten von einem Ohre zum anderen ganz ausgeschnitten, so dass man den Nacken völlig sehen kann.
Translation:
Tulle is still worn on hats and as decoration for dresses. But the common fashion in the last three weeks is ruled by black bast or strawhats, of which the most elegant point upwards like a ram's horn. They are most often embellished with jonquilla yellow or pistacho green ribbons or are closed with a red kerchief under the chin. Many are cut in the back from one ear to the other, so that the neck is entirely exposed.

Obschon im Modekupfer und im Text des Journals von einem Strohhut die Rede ist, entschied ich mich dagegen, denn meine Fertigkeit in Sachen Stroh ist noch nicht so weit fortgeschritten, als dass ich mir die Konstruktion zugetraut hätte. Zudem ist es recht müßig gefärbtes Stroh zu finden und es selber Einzufärben ist schwieriger als man denkt, denn das Stroh ist von einer natürlichen Wachsschicht umgeben, ein Umstand, der einen umständlichen Färbeprozess vorraussetzt.
Ich entschied mich also für ein Gerüst aus Steifleinen und Draht.
While the fashion plate and the text mention that it is a straw hat, I decided against using straw, because my skills are not that advanced, that I would have mastered this construction. It's also difficult to find black straw braids and dying straw at home is challenging, because the straw has a waxed surface and knowledge about dying is essential.
I rather went for buckram and hat wire.

Die Krone ist eine halbe Röhre mit Deckel, um diesen herum wird die Krempe gearbeitet. Zunächst hatte ich den Aufbau mit einem Papiermodell erarbeitet.
The crown is a half pipe with a half circle, the brim is build around it in one piece. First I did up the construction with paper, then I transferred it to the buckram.

Entlang der Ränder ist Hutdraht angenäht (dafür habe ich auf die Maschine zurückgegriffen)
Along the edges I used hatwire (which is attached with the machine)

Das Innere des Hutes. Das Hutgerüst wird mit zugeschittenem Flanell belegt, der von Hand am Steifleinen festgenäht wird. Danach ist er bereit zum Beziehen.
The inside of the hat. The base is then covered with flannel, which is stitched on the buckram by hand. Then it is covered with the actual fabric.

Der Hut wurde mit dunkelblauem Baumwollstoff bezogen, dazu fertigte ich Hutband aus gelbem Baumwollsatin. Statt des etwas grellen Jonquillagelb, wählte ich ein Schlüsselblumengelb.
The hat was covered with dark blue cotton, it is taped with sateen. Instead of the bright jonquilla yellow I went for primrose.

Zunächst überlegte ich, ob es sich bei dem Hut um eine zweiteilige Anfertigung (Hut & Haube) handelte. Nachdem ich nur den Hut fertiggestellt hatte, probierte ich ihn aus, aber selbst mit Hutband und Hutnadeln ließ er sich nicht in die gewünschte hohe Form bringen. Also trägt die Dame auf dem Kupfer keine separate Haube, sondern ein rechteckiges Stück Tuch, welches durch Tunnel zu einer halben Haube gefertigt und eingenäht wird. Ist dieses geschehen, dreht sich der Hut von allein zu einem Widderhorn in die Höhe (ohne Hutband und Hutnadel).
I primarily wondered whether the hat was made of two pieces (hat and cap). After assembling just the hat part, I tried it on, only to find out that it would not sit in place, neither with hatbands nor pins. Ergo the lady in the fashion plate does not wear two separate pieces, but a rectangular piece of fabric, which is made to a half circle cap with the help of sewn in tunnels. Once this is done and sewn in, the hat points up into the air like a ram's horn (without the aid of band or pins).

Wenn er nicht getragen wird, liegt er sehr flach.
While not worn, it lies quite flat.

Die eingenähte halbe Haube. Die oberen vier Kanäle sind nach innen genäht und mit Rohrersatz (Kunststoff) gefüllt, während die unteren beiden Kanäle mit Baumwollband verzurrt werden.
The sewn in half cap. The upper four channels are sewn to the inside and filled with plastic reed substitute, while the lower two tunnels are stringed with cotton.

Sobald der Hut aufgesetzt wird, verändert sich die Form von flach zu rund.
As soon as the hat is put on, the shape changes from flat to round.

Der fertige Hut erfüllt den Anspruch des Widderhorns. (Auch wenn die Marotte noch ein wenig fragend guckt)
The finished hat fulfills the requirement of a ram's horn. (Even though the marotte is still sporting a frown)

Die Haube ist wie geschaffen für die Frisuren der Zeit im Jahr 1802.
The cap's shape is made for the hairdos of the year 1802.

Ein wunderbarer Anblick von allen Seiten.
A lovely sight from all sides.

Wie im Journal des Luxus und der Moden beschrieben, ist der Hut weit ausgschnitten und selbst mit Haube, erhält man einen Blick auf den Nacken.
Like described in the Journal des Luxus und der Moden, the hat is cut very high in the back and even with the cap there's still the neck exposed.

Bei dem seidenen Hutband handelt es sich um Vintageware, die perfekt zum Satin aus meinem Stoffschrank passt - ein Glücksgriff!
The silk hatband is vintage and matches perfectly to the sateen from my stash - happy moment!

Die Kanäle der Haube sind mit winzigen Vorstichen genäht.
The channels of the cap are sewn with tiny running stitches.

Da der erste Mai mit wunderschönem Wetter aufwartete, ging es gleich gut behütet in den Garten.
As the 1st of May promised lovely spring weather, I went into the garden for a stroll.


Die Azaleen blühen und duften! Der Lenz ist da!
The azaleas blossom and scent! Spring has sprung!

Und natürlich dürfen Goethes Lieblingsblumen nicht fehlen. Die Aurikel "Zimt" steht schon in Blüte.
And of course Goethe's favourite flowers shouldn't be missed out. The auricula "Cinnamon" in all it's glory.

Der Hut passt nicht nur in den Hochsommer, sondern ist auch im Frühling recht kleidsam...und auf dem besten Wege ein Lieblingsstück aus den Hutschachteln zu werden.
The hat does not only fit into the hot days of summer, but also looks appealing in spring...and is on it's best way to become a favourite from the hatboxes.